SCIENCE

Das Gesetz der ersten Wellenfront

Die räumliche Abbildung und Strahlkraft von Lautsprecher wird oft noch als mystisch und unerklärbar betrachtet. Durch Erkenntnisse der Psychoakustik kann man aber auch hier einiges erklären. Und dass die Aufstellung der Lautsprecher im Raum klangentscheidend ist, ist wohl eine Binsenweisheit. Im Folgenden beschreiben wir den Precendence- oder Haas-Effekt, der als Gesetz der ersten Wellenfront in vielen Akustikbücher beschrieben wird. Über viele Jahre hinweg hat man durch zahlreiche Versuche dessen Gültigkeit immer wieder bestätigt und die folgenden Schlussfolgerungen sind deshalb eindeutig:

Bei der Aufstellung von Lautsprechern im Raum sollte immer ein bestimmter Mindestabstand von reflektierenden Wänden gehalten werden. Nach dem Gesetz der ersten Wellenfront, werden Schallanteile, die innerhalb der ersten 3,5 Millisekunden das Ohr erreichen, im Gehirn aufsummiert und zur Richtungsortung genützt. 3,5 Millisekunden entsprechen einem Schallumweg von ca. 1,2 Meter. Alle Schallanteile, die also innerhalb dieser Zeit das Ohr erreichen, werden vom Ohr als ein einziges Schallereignis gewertet und dienen fast ausschließlich der Richtungsortung. Es wird nur eine sehr eingeschränkte Frequenzanalyse sprich Klangbewertung vorgenommen. Das Ohr führt die Klangbewertung vor allem durch indirekte Schallanteile durch. Musikhören im schalltoten Raum, wo ja praktisch nur Direktschall vorkommt, macht also wirklich keinen Spaß.

Die Schallwand einer Lautsprecherbox sollte also immer mindestens 65 cm vor der Rückwand stehen und der Abstand von den Seitenwänden, Decke und Fußboden sollte ebenfalls dahingehend ausgelegt werden, dass die reflektierten Schallwellen einen Umweg von mehr als 1,2 Meter zurücklegen müssen. Dann trennt sich der Direktschall von den Reflexionen und es entsteht eine schöne Tiefenstaffelung.

Steht der Lautsprecher also zu nah an der Rück- oder Seitenwand, verschmilzt im Ohr der Direktschall mit den Wandreflexionen. Das Ohr „sieht“ eine räumlich stark ausgedehnte Schallquelle, die zwischen den beiden Boxen zu schweben scheint. Der von Phasenunterschieden herrührende Tiefeneindruck, der auf der Aufnahme festgehalten ist, verschwindet völlig. Es entsteht ein unnatürlich flächiges Klangbild ohne Tiefenstaffelung. Alle Musiker eines Orchesters scheinen auf einer Ebene zu sitzen. Aus einer dreidimensionalen Aufnahme wird eine rein zweidimensionale Wiedergabe. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Durch die zeitliche Verschmierung der ersten Wellenfront verschlechtert sich zudem das Impulsverhalten, das Timing wird unschärfer, die Klangfarben strahlen deutlich weniger. Deshalb ganz klar meine Empfehlung: versuchen Sie Ihre Lautsprecher mit genügendem Abstand von den Wänden aufzustellen. Beachten Sie bitte hierzu die abgebildeten Beispielräume mit den entsprechenden Lautsprecherpositionierungen. Gehen Sie entsprechend diesen Beispielen vor und positionieren Sie Ihre Lautsprecher so, dass alle Reflexionen einen Umweg von mindestens 1,2 m bezüglich des Direktschalls haben. Und wie immer: Hören Sie sich ein Stück mit guter Tiefenstaffelung vorher und nachher an.

Wenn Hersteller eine wandnahe Aufstellung empfehlen, dann kann das eigentlich nur den Sinn haben, bassschwachen Zweiwegekonstruktionen auf die Sprünge zu helfen, da die Wandreflexionen die Basswiedergabe verstärken. Eine Erweiterung des Frequenzgangs zu tiefen Tönen hin erkauft man sich aber eben durch eine dramatische Verschlechterung im Zeitverhalten des Lautsprechers und stark eingeschränkter Räumlichkeit.

Und versuchen Sie nicht, die Wände zu stark zu bedämpfen, denn das Ohr holt sich seine Tonhöhen (Frequenz-) Information von den Reflexionen, wobei die seitlichen Reflexionen die größte räumliche (Stereo-) Information tragen. Ohne Reflexionen wirken Stimmen und Instrumente etwas farblos und ungewohnt dünn.

Ein Raum hat also nicht, wie viele immer noch glauben, nur Nachteile, eher im Gegenteil. Ein Sinfonieorchester klingt im Konzertsaal viel imposanter und kraftvoller als im freien Feld. Man muss allerdings die Schallausbreitungseffekte in einem Raum beachten, um die klanglichen Einschränkungen zu umgehen.

Zur Veranschaulichung dienen folgende Bilder:

Bild 1

Strahl 2 (Reflexion an der Rückwand) ist weniger als 1,2 m länger als Strahl 1. Das Ohr ortet eine stark verbreiterte Schallquelle. Folge: flächiges Klangbild, schlechte Ortung, Impulsverschmierung, zu wenig Präsenz, da beide Schallanteile vom Gehirn nicht getrennt werden. Wenn Strahl 3 ebenfalls weniger als 1,2 m Wegunterschied besitzt, wird die Quelle völlig diffus.

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